Haushaltsrede im Rat der Stadt Andernach (2016)

Veröffentlicht in Kommunales

Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister,

sehr geehrter Herr Bürgermeister,

meine Herren Beigeordnete,

liebe Kolleginnen und Kollegen,

meine sehr verehrten Damen und Herren,

 

„Die Welt ist im Wandel, Europa und auch Deutschland sind im Wandel.“ So begann meine Haushaltsrede im vergangenen Jahr. An dieser Bestandsaufnahme hat sich wenig geändert und die jüngsten Ereignisse – der Austritt Großbritanniens aus der EU, die Wahl Donald Trumps zum Präsidenten der Vereinigten Staaten, die zunehmende Erstarkung der Rechtspopulisten in unserem Land – geben uns allen Anlass zur Sorge.

 

Die globalen Entwicklungen – Finanzkrisen, Hungersnöte, militärische Auseinandersetzungen – bedingen dabei unser politisches Handeln auf allen Ebenen: sei es in Europa, im Bund, den Ländern oder aber auch auf kommunaler Ebene. Ihre Wirkung auf unser eigenes Leben ist oftmals ganz unmittelbar, etwa dann, wenn es darum geht, den aufgrund von Krieg und Verfolgung Geflüchteten in unserer Stadt Asyl zu geben oder vor Ort Antworten auf komplexe politische Fragen zu finden.

Denken wir aber auch an die positiven Effekte, die sich aus der gelegentlich überkomplexen politischen Wetterlage ergibt: So wollen wir die im vergangenen Jahr zur Flüchtlingsunterbringung genutzten Räumlichkeiten nunmehr zu einem modernen Feuerwehrgebäude inklusive Wohnungen und angemessener Ausstattung wie etwa einer Atemschutzwerkstatt ausbauen. Dafür nehmen wir 500.000 Euro in 2017 und insgesamt 3 Millionen Euro bis 2019 in die Hand. Dies zeigt, dass wir politische Krisensituationen nicht notwendigerweise als etwas Negatives ansehen müssen, sondern als Momente, in denen wir die Weichen für zukünftige positive Entwicklungen stellen können.

 

Eine weitere Weiche richtig stellen, können wir auch, liebe Kolleginnen und Kollegen aus dem Kreistag, bei der Verabschiedung des Kreishaushalts. Lassen sie uns gemeinsam an einem Strang ziehen, damit die Integrationsmittel in Höhe von rund 5 Mio. EUR bei denen ankommen, die in unserem Land konkrete Integrationsarbeit leisten, nämlich bei den Städten und Gemeinden. Die SPD fordert den Kreis auf, die Hälfte, als 2,5 Millionen Euro an den kreisangehörigen Bereich zu geben. Für Andernach sind das knapp 400.000 Euro.

 

Eben sprach ich von den komplexen Entwicklungen unserer Zeit. Ich bin davon überzeugt, dass es zu den ureigenen Aufgaben von Politik gehört, den Menschen in unserer Stadt solche Entwicklungen verständlich zu machen. Im Dialog auf Augenhöhe mit den Bürgerinnen und Bürgern Lösungen formulieren und die Menschen im besten Sinne des Wortes mitnehmen.

 

Der schwedische Sozialdemokrat Olof Palme sagte vor 40 Jahren: „Politik heißt: etwas wollen. Gute Politik heißt: Veränderungen wollen, weil Veränderungen Verbesserungen verheißen.“

 

Meine Damen und Herren, ich glaube, dieser Satz hat nichts von seiner Aktualität verloren. Wenn wir Menschen für politisches und gesellschaftliches Engagement begeistern wollen, dann muss Politik selbst als die Möglichkeit zur Veränderung und nicht bloß als das Verwalten des Bestehenden wahrgenommen werden. Dieser Grundsatz gilt für die „große Politik“ ebenso wie im Kreise unserer kommunalen Familie.

 

Auch unser OB wollte und will verändern und gestalten. Denken wir einmal daran, wie sich unsere Stadt in den vergangenen 25 Jahren verändert hat. Ich bin überzeugt: Nicht nur für uns als Sozialdemokraten ist klar, dass dies nicht zuletzt auch mit Ihrem Engagement und  konsensorientierten Stil sowie dem Engagement Ihrer Verwaltung zu tun hat.

Deshalb möchte ich Ihnen, Herr Oberbürgermeister, aber auch Ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern  der Verwaltung und der städtischen Gesellschaften an dieser Stelle einmal mehr herzlich unser Dank und unser Kompliment aussprechen.

 

Nachdem Sie, Herr Oberbürgermeister, und Sie, Herr Masberg, auf zahlreiche Investitionen vertiefend eingegangen sind, möchte ich nunmehr einige konkrete Schwerpunkte beleuchten. Entscheidend ist für uns dabei weniger ein heute zu verabschiedendes, abstraktes Planergebnis, sondern vielmehr das, was am Ende des Haushaltsjahres unterm Strich steht. Auch wenn  die Haushaltspläne in den letzten 6 Jahren nicht ausgeglichen waren, so war doch immer das Jahresergebnis ein positives – in der Summe ein Plus von knapp 15 Mio. EUR.

 

[Anrede]

Veränderung in Olaf Palmes Sinne heißt auch, zunächst einmal zu fragen, was ist und sich darüber im Klaren sein: Wo wollen wir eigentlich hin? Mit dem von uns angestoßenen Leitbildprozess haben wir uns auf den Weg gemacht zu erkunden, welche Bedürfnisse die Menschen in unserer Stadt eigentlich haben.

 

Eine Vielzahl solcher Bedürfnisse haben uns die Bürgerinnen und Bürger im Rahmen unserer „Expedition Andernach 2030“ verraten; dies ist nun in die Form eines konkreten Leitbildes zu bringen und im Rat weiter zu beschließen. Schon jetzt einen wesentlichen Teil der kundgetanen Bedürfnisse der Bürgerinnen und Bürger zu stillen – dies ist es, was wir mit dem vorliegenden Haushaltsentwurf wollen. Wir brauchen kein „Leitbild für die Schublade“, sondern um einen „roten Faden“, wie wir unsere Stadt der Zukunft  gestalten, Bürgerinnen und Bürger beteiligen und so Politik konkret erlebbar machen wollen.

 

Mitmachen, Menschen bewegen, gestalten – mit diesen Begriffen lässt sich nicht nur unsere „Expedition Andernach“ treffend beschreiben, sondern auch das vielfältige ehrenamtliche Engagement in unserer Stadt, das in Form der Ehrenamtsinitiative Mal um Mal neue Ideen hervorbringt und politische Visionen konkrete Realität werden lässt.

 

Ich möchte an dieser Stelle nur ein Vorhaben besonders erwähnen, das mich selbst tief beeindruckt hat. Es ist die Vision eines kommunalen Kinos. Dass Andernach einmal über mehrere Lichtspielhäuser verfügte – dieser Gedanke klingt zumal für viele der jüngeren Menschen in unserer Stadt heute geradezu unvorstellbar.

 

Nicht rentabel, nach der Logik des freien Marktes kaum aufrechtzuerhalten – all diesen Einwänden zum trotz hat sich eine Gruppe von Ehrenamtlichen auf den Weg gemacht, das kulturelle Angebot unserer Stadt mit regelmäßigen Filmvorführungen zu bereichern. So wird aus einem Bedürfnis durch Engagement und konkretes Handeln aus der Mitte der Bürgerschaft konkret erlebbare Politik.

 

So viel ehrenamtliches Engagement muss sich bezahlt machen. Wir begrüßen es daher als SPD-Fraktion nachdrücklich, dass wir mit dem Entwurf für das kommende Haushaltsjahr nachhaltig mehrere Tausende Euros  in ein kommunales Kinos investieren.

 

Außerdem erhebe ich zum Antrag: Die Verwaltung möge prüfen, in wie weit die Räumlichkeiten im Keller des historischen Rathauses für unser Stadt-Kino geeignet sind. Außerdem fordere ich die Verwaltung auf Planungen für eine erste Andernacher Jugendfilmnacht aufzunehmen.

 

[Anrede]

 

Zu den wesentlichen Bedürfnissen aller Menschen gehört die materielle Absicherung, aber auch die Selbstverwirklichung und die Anerkennung der eigenen Arbeit in der Gesellschaft. Dies gilt insbesondere für viele junge Menschen in unserer Stadt, die sich im Übergang von der Schule zum Ausbildungs- und Berufsleben befinden.

 

Wir wollen mit der Initiative unserer Fraktion für eine städtische Ausbildungsmesse dazu beitragen, dieses Bedürfnis zu befriedigen, einen Ort der Begegnung zwischen jungen Menschen und Arbeitgebern zu schaffen und eine erste Orientierung auf dem Arbeitsmarkt zu geben.

 

Das zeigt: Es geht voran mit unserer Stadt. Politische Visionen nehmen konkrete Formen an und werden spürbar.  Andernach ist eine Stadt, die die Bedürfnisse ihrer Bürgerinnen und Bürger ernstnimmt. All dies macht sich bezahlt. Wir haben in diesem Jahr zum ersten Mal die „magische Grenze“ von 30.000 Einwohnerinnen und Einwohnern geknackt.

 

Wir wollen weiter wachsen und zugleich Platz für neue Baugebiete ausweisen. Dies gilt in Kell für den zweiten Abschnitt des Baugebietes Pönterberg. Aber auch im Rest der Stadt planen wir kleinere und größere Maßnahmen im Innen- wie im Außenbereich. Städtisches Wachstum ist für uns dabei kein Selbstzweck, sondern muss den Menschen dienen und Räume der Begegnungen schaffen.

 

Begegnungen zu ermöglichen – das setzt voraus, unsere Stadt als sozialen Raum zu begreifen – und zwar in der Realität und nicht in der Anonymität der Filterblase in den sozialen Netzwerken.

 

Gleiches gilt für die Sanierung des Andernacher Freibads, das insbesondere in den Sommermonaten einen zentralen Ort der Begegnung darstellt. Für uns gilt ein klares Bekenntnis zum Erhalt des Andernacher Freibads. Diese kommt nicht zuletzt in den 3,4 Mio. Euro zum Ausdruck, die im Haushaltsentwurf für Sanierungsarbeiten verankert wurden.

 

Entgegen dem alten Goethe-Zitat „Zwei Herzen schlagen ach in meiner Brust“, freut es uns, dass sich nach anfänglichen Irritationen aus dem Jahre 2014 seitens des CDU-Ortsvorstehers und Fraktionsvorsitzenden nunmehr auch die Miesenheimer Christdemokraten eindeutig zum Erhalt „ons Schwemmbads“ bekennen. 

Und auch Ihre Zurückhaltung in Sachen Wasserspielplatz ist ja nunmehr passé. Schön, dass Sie auch hier nunmehr an unserer Seite sind.

 

Allerdings „Sie müssen Ihre Schwimmbad-Euphorie“ nicht gleich wieder übertreiben, wie in der letzten Stadtratssitzung.

 

Mit der Essbaren Stadt Andernach haben wir in der Vergangenheit ein visionäres Konzept realisiert, das eben nicht nur einem ökologisch-nachhaltigen und grünen Stadtbild dient, sondern das auch Möglichkeiten zur Begegnung schafft.

 

Diesen Gedanken wollen und werden wir im kommenden Jahr aktiv fortführen, so etwa in dem neu zu errichtenden historischen Stadtgarten, der auf dem einen Teil des ehemaligen Weisheimer-Geländes entstehen soll. Damit knüpfen wir schon jetzt an ein zentrales Bedürfnis an, das sich im Rahmen des Leitbildprozesses herauskristallisiert hat. Das Bedürfnis nach mehr Grün- und Naherholungsräumen.

 

Zugleich soll hier ein Stück regionaler Geschichte und Identität durch Ausstellungsstücke aus der Römerzeit und dem Mittelalter konkret erfahrbar werden. Andernach leben, Identifikation und Identität schaffen – so ließe sich unsere Zukunftsvision für unsere Stadt in wenigen Worten beschreiben. Besser erlebbar sollen Geschichte und Identität unserer Stadt auch mit dem neuen Ausstellungskonzept für unser Stadtmuseum im Haus von der Leyen werden. Was diese Stadt ausmacht, das sollen Bürgerinnen und Bürger wie Gäste gleichermaßen erfahren.

 

Die Sanierung des Bahnhofsgebäudes und der Bahnsteige durch die Deutsche Bahn wird im nächsten Jahr endlich Realität werden und wir wollen auch den Andernacher Bahnhof zu einem Ort der Identität umgestalten. Mit einer entsprechenden Initiative haben wir daher die Andernach.net um Herrn Heller beauftragt, das Bahnhofsinnere durch Abbildungen von regionalen Sehenswürdigkeiten nahezu kostenlos  aufzuwerten und dem Gedanken der regionalen Identität Rechnung zu tragen.

 

Zur regionalen Identität gehören aber auch kulturelle Bräuche und Sitten, wie sie etwa in Form der Kirmessen in den Stadtteilen eine lange Tradition haben. Diese wollen wir künftig finanziell stärker unterstützen, um Orte des Miteinanders und der Begegnung zu schaffen. Die Kirmes in den Stadtteilen ist mehr als Losbuden und Würstchenstand. Wir wollen und  wir werden ein neues Kulturprogramm anbieten und so diese im Rahmen des Haushaltes auch im kommenden Jahr weiterentwickeln.

 

Wir wollen und wir werden uns im kommenden Haushaltsjahr auf einen Antrag von SPD, Bündnis90/Die Grünen und FWG hin umfassend mit einem Verkehrskonzept für unsere Stadt beschäftigen und auch dabei den Bedürfnissen der Bürgerinnen und Bürger entsprechen. 50.000 EURO wurden dazu für eine Bestandsanalyse in den Haushaltsentwurf eingestellt, die es uns ermöglichen soll, über einzelne Leuchtturmprojekte hinaus die Mobilität in unserer Stadt langfristig und nachhaltig zu gestalten.

 

Mit einem integrierten Fahrradwegekonzept, das auf erweiternde Anträge von Grünen und CDU zurückgeht, soll zudem unser Verständnis innerstädtischer Mobilität über die Vorstellung vom eigenen PKW und dem ÖPNV hinaus weitergedacht werden.

Deshalb erhebe ich zum Antrag, nach den positiven Erfahrungen aus dem Leitbildprozess auch hier die Bürgerinnen und Bürger aktiv in einem Bürgerdialog zu beteiligen.

 

[Anrede]

 

Wenn ich heute von Identität und dem Miteinander in unserer Stadt spreche, so meine ich dies nicht im Sinne eines Sich-Ein-Igelns oder eines Rückzugs vor der sich globalisierenden Welt. Andernach ist eine Stadt, die sich ihrer Geschichte und ihrer Verantwortung in der Welt bewusst ist.

 

Führen wir uns vor Augen, dass wir mit unserer Partnerstadt Dimona in der israelischen Negev-Wüste die erste Städtepartnerschaft überhaupt zwischen einer deutschen und einer israelischen Stadt unterhalten. Ich halte dies angesichts unserer Geschichte bis heute für alles andere als eine Selbstverständlichkeit.

 

Aber auch die Städtepartnerschaften zu Saint-Amand-les-Eaux, Stockerau, Ekeren, Farnham und Zella-Mehlis sind Ausdruck eines Verbunden-Seins mit Europa und der Welt. Wir wollen diesen Gedanken auch in Zukunft mit Leben füllen.

Die finanzielle Stärkung solcher Partnerschaften ist dabei das Eine. Aber denken wir doch einmal über die konkreten finanziellen Belange hinaus: Wie wäre es denn, wenn es uns gelänge, jedes Jahr mit einer Delegation wenigstens eine Partnerschaft zu besuchen?

 

Lassen Sie uns gemeinsam all diese Begegnungen und Partnerschaften aktiv leben – gerade jetzt und gerade in dieser Zeit, in der Europa und die Weltgemeinschaft auseinanderzudriften drohen. Lassen Sie uns dieses Miteinander nach außen genauso gestalten, wie wir das Miteinander in unserer Stadt gestalten.

 

Identität und Begegnung – das gehört zusammengedacht. Zu wissen, wer man selbst ist, woher man kommt, aber auch die Begegnung mit anderen nehmen uns die Angst vor dem Fremden und immunisieren uns gegen die all zu einfachen Antworten derer, die gerade glauben, gegen Geflüchtete, gegen Muslime, gegen eine angebliche „Lügenpresse“ oder die sogenannten „etablierten Parteien“ hetzen zu müssen.

 

Zugegeben: Unsere Antworten sind nicht immer einfach – aber wie könnten sie das auch sein angesichts der Komplexität unserer Welt?

 

Rechtspopulisten und Rechtsextreme mögen den Menschen in unserem Land das Gefühl vermitteln: „Wir verstehen euch“, „Wir kümmern uns um euch“, „Wir sorgen uns um eure Probleme“. Aber lassen Sie mich die Frage in den Raum stellen: Ist das wirklich so? Wann und wo „liefern“ denn die Populisten, wenn es konkret wird?

 

[Anrede]

 

Ich bin davon überzeugt, dass wir alle in diesem Rat – bei allen Unterschieden in den politischen Detail- und Grundsatzfragen – uns hier doch aus einer ähnlichen Motivation einbringen. Ich bin auch davon überzeugt, dass Ihre Motivation, liebe Kolleginnen und Kollegen, meiner in diesem Punkt sehr ähnlich ist:

 

Wir wollen das Zusammenleben in unserer Stadt aktiv gestalten. Wir wollen das Leben der Menschen hier konkret verbessern. Der Haushalt für das kommende Jahr zeigt hierfür klare und realistische Zielsetzungen und Vorhaben auf.

 

[Anrede]

 

Die SPD-Fraktion stimmt diesem Haushaltsentwurf zu. 

 
 

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