Qualifizieren statt Entlassen

Veröffentlicht in Arbeit


Bundesarbeitsminister Olaf Scholz, MdB

Die Verlängerung des Kurzarbeitergeldes ist ein probates Mittel, um Entlassungen zu vermeiden, sagt Bundesarbeitsminister Olaf Scholz im FAZ-Interview. Die Zeiten geringer Produktion sollten jetzt für Weiterbildung genutzt werden.

Das Interview im Wortlaut:

Frankfurter Allgemeine Zeitung: Die Finanz- und Wirtschaftskrise erreicht den Arbeitsmarkt: Immer mehr Unternehmen erwägen jetzt Kurzarbeit für ihre Beschäftigten. Ist sie ein probates Mittel, um Entlassungen zu vermeiden? Oder schönt sie nur die Arbeitsmarktstatistik im Wahljahr 2009?

Olaf Scholz: Es kann gar nichts geschönt werden. Voraussetzung für die Gewähr des Kurzarbeitergeldes ist ein vorübergehender Arbeitsausfall. Es geht darum, dass die Unternehmen auch in wirtschaftlich schwierigen Zeiten an ihren Mitarbeitern festhalten können.

So müssen Arbeitgeber sich nach einer, wie wir alle hoffen, vorübergehenden Auftragsflaute nicht auf die mühsame Suche nach neuen Fachkräften machen und die Arbeitnehmer nicht nach neuen Stellen umschauen.

FAZ: Das Kurzarbeitergeld wird von der Bundesagentur für Arbeit finanziert. Wie stark werden die Unternehmen dadurch finanziell entlastet?

Scholz: Die Bundesagentur für Arbeit übernimmt beim Kurzarbeitergeld die Zahlung der Entgeltersatzleistung für die ausgefallenen Stunden in Höhe von 60 beziehungsweise 67 Prozent des Nettolohns. Die Arbeitgeber zahlen die Beiträge für die Sozialversicherung, das Entgelt an Feiertagen und für den Urlaub.

FAZ: Tragen nicht die Arbeitnehmer die Hauptlast, wenn sie nach einer Phase der Kurzarbeit doch entlassen werden - und dann weniger Arbeitslosengeld bekommen?

Scholz: Es ist ja gerade der Sinn des Kurzarbeitergeldes, Entlassungen möglichst zu vermeiden. Ohne die Möglichkeit, Kurzarbeit in Anspruch zu nehmen, hätten die Betriebe bei einem massiven Auftragseinbruch nur die Möglichkeit, ihren Mitarbeitern betriebsbedingt zu kündigen, selbst wenn sie wissen, dass sie ihre Beschäftigten bald wieder brauchen. Das kann keiner wollen.

Im Übrigen mindert das Kurzarbeitergeld nicht die Höhe des Arbeitslosengeldes. Für die Berechnung wird das reguläre Arbeitsentgelt zugrunde gelegt, nicht das Kurzarbeitergeld.

FAZ: Ist die Verlängerung der Zahldauer des Kurzarbeitergeldes auf 18 Monate in dieser Phase ein genialer Schachzug, oder müssen wir trotzdem schon 2009 mit Massenentlassungen rechnen?

Scholz: Ich halte nichts von Panikmache. Wir sind von 5 Millionen Arbeitslosen gekommen und haben gerade im zweiten Monat hintereinander die Zahl von 3 Millionen unterschritten. Wir stehen also gut da.

Und wir stehen trotzdem vor schweren Zeiten. Und für diese schweren Zeiten rüsten wir uns mit einer Reihe von Maßnahmen. Die Verlängerung der Zahldauer des Kurzarbeitergeldes ist eine davon. Sie ist ein sinnvolles Mittel, um Entlassungen so weit wie möglich zu vermeiden.

Zusätzlich erhöhen wir die Zahl der Vermittler in der Bundesagentur um mehrere tausend Stellen, und wir werben verstärkt für die Möglichkeit, die Zeit mit geringer Auslastung der Produktion auch für Weiterbildung zu nutzen. Die Devise heißt: Qualifizieren statt entlassen. Wir werden jetzt auch die Weiterbildung während der Kurzarbeit fördern.

FAZ: Mitarbeiter von Zeitarbeitsunternehmen trifft die Krise mit als Erste. Was halten Sie von der neuen Praxis der Arbeitsagentur, auch ihnen Kurzarbeitergeld zu gewähren?

Scholz: Ich halte das Kurzarbeitergeld in der gegenwärtigen Wirtschaftslage für ein probates Mittel. Da wir es mit einer Störung der Gesamtwirtschaft zu tun haben, kann auch die Zeitarbeit einbezogen werden.

FAZ: Sehen Sie für die Betriebe einen Ausweg im Abschluss von Tarifverträgen zur Beschäftigungssicherung - mit verkürzter Arbeitszeit zu niedrigerem Lohn?

Scholz: Jetzt ist Pragmatismus und nicht Dogmatismus gefragt. Aber was im Tarifbereich nötig ist, können nur Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände beantworten.

FAZ: Waren die Lohnabschlüsse des laufenden Jahres - von heute aus betrachtet - zu hoch?

Scholz: Nein. Wir leiden nicht unter mangelnder Wettbewerbsfähigkeit in Deutschland, sondern unter einer Krise der Weltwirtschaft, die durch unverantwortliche Geschäfte nie gekannter Dimension auf den Finanzmärkten ausgelöst wurde.

FAZ: Der "Schutzschirm" der Bundesregierung für den Arbeitsmarkt - länger Kurzarbeitergeld, mehr Arbeitsvermittler und mehr Qualifizierung für Beschäftigte - kostet die Beitragszahler viel, die Steuerzahler nichts. Wird (muss) die Bundesregierung hier nachbessern?

Scholz: Zu dem Schutzschirm gehören auch eine Reihe weiterer Maßnahmen wie die bessere Absetzbarkeit von Handwerkerleistungen, die verstärkte Förderung haushaltsnaher Dienstleistungen und Maßnahmen zur Sicherung der Kreditvergabe an kleinere und mittlere Unternehmen. Und das alles bezahlen wir aus Steuergeldern.

Im Übrigen dürfen wir jetzt nicht verrückt werden. Wenn wir etwas machen, sollten wir auch an die Wirksamkeit glauben. Geld, das wir sinnlos verbrennen, um einen guten Eindruck als Krisenmanager zu machen, fehlt uns vielleicht, wenn wir es wirklich benötigen. Und keiner weiß genau, was noch alles auf uns zukommt.

Die Fragen stellte Kerstin Schwenn.

 
 

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