Rhein-Zeitung: Nahles: Der Ortsverein bleibt die Keimzelle

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Interview SPD-Generalsekretärin will Reform, aber nicht um jeden Preis

Berlin. Generalsekretärin Andrea Nahles will die SPD modernisieren, trotz Gegenwind vonseiten der Genossen. Ihre persönliche Karriere macht sie aber nicht vom Erfolg der Parteireform abhängig. Sie werde gewiss nicht zurücktreten, wenn das Großprojekt misslingt, sagt Nahles.

Sie wollen die „alte Tante SPD“ reformieren. Wie weit sind Sie damit bisher gekommen?

Sehr weit. Wir werden noch eine große Sitzung Mitte September haben. Wir arbeiten gerade die Vorschläge in unser organisationspolitisches Grundsatzprogramm ein. Insbesondere, was die Frage der Gremien angeht, glaube ich, dass wir eine einvernehmliche Lösung hinbekommen. Wir sind uns noch nicht einig, was die Frage der Einbeziehung von Nichtmitgliedern betrifft. Das wird noch weiter diskutiert werden. Aber insgesamt halten wir den Zeitplan ein. Ich glaube, dass wir weite Teile dieser Reform einvernehmlich beschließen werden. Es wird aber auch ein, zwei Punkte geben, die weiter strittig sind. Sigmar Gabriel und ich werden ab September bis einschließlich November die gesamte Partei bereisen, um weiter zu überzeugen.

Warum ist diese Reform so wichtig, dass Sie sie zu Ihrem persönlichen Großprojekt machen?

Ich glaube, dass man auf der Höhe der Zeit sein muss. Wir brauchen eine gute Organisation hinter unseren politischen Forderungen. Wir waren immer deswegen stark, weil wir viele Mitglieder hatten und dadurch unabhängig waren. Unabhängiger von Spenden als andere Parteien zum Beispiel. Die Mitglieder sind außerdem auch immer „Mundfunk“, wie sie Johannes Rau einmal nannte. Sie streiten für die gemeinsame Sache. Das ist sehr wichtig. Aber die Gesellschaft hat sich verändert, deswegen muss sich auch die SPD verändern. Wir stellen fest, dass wir es heute mit Bürgern zu tun haben, die selbstbewusster sind, die sich nicht mehr einfach einfügen in eine Großorganisation, sondern die sagen: Okay, ich mach mit, aber was bietet ihr mir denn?

Ist das das Ende des klassischen SPD-Ortsvereins?

Nein, überhaupt nicht. Die Ortsvereine sind die wichtigsten Keimzellen unserer politischen Arbeit. Sie wirken vielleicht aber manchmal auch abschreckend auf den eben beschriebenen selbstbewussten Bürger. Ortsvereine sind gut, vor allem in der Kommunalpolitik. Es gibt aber viele junge Leute, die bei der SPD mitmachen wollen und sich nicht unbedingt für die Politik vor Ort interessieren. Für solche Leute haben wir momentan einfach noch nicht genügend Angebote. Viele junge Leute ziehen alle zwei bis drei Jahre um, auch da dürfen wir den Kontakt nicht abbrechen lassen und müssen überall Möglichkeiten schaffen, in der SPD mitzumachen.

Gibt es dann künftig auch nicht mehr die klassische Parteikarriere in der SPD? Vom Ortsverein über den Kreisverband in den Bundesvorstand und so weiter?

Doch natürlich, aber wir müssen auch durchlässiger werden, ja.

Aber im Moment sind Quereinsteiger nicht gern gesehen.

Nein, das ist in fast allen Parteien so. Es ist auch verständlich. Es gibt Leute, die die Kärrnerarbeit machen und sehr viel Freizeit opfern. Ich habe neben meinem Studium fast meine gesamte Freizeit in die SPD gesteckt. Das machen viele. Und dann kommt da jemand, der diese Kärrnerarbeit nicht gemacht hat. Diesen Leuten dann trotzdem auch politisch Raum zu geben, da ist Führungsarbeit gefragt. Man muss Nachwuchsförderung betreiben, nicht nur unter denjenigen, die den klassischen Weg gehen.

Inwiefern verknüpfen Sie Ihre persönliche Karriere mit der Parteireform? Müssen Sie gehen, wenn sie scheitert?

Also, ganz ehrlich, diese Kultur muss in der SPD mal beerdigt werden. Wenn es in der Partei eine mehrheitlich andere Meinung zu einem bestimmten Punkt gibt, ist das für die Führung einer Partei nicht leicht. Das sollte auch möglichst selten vorkommen. Aber ich halte es grundsätzlich erst mal nicht für einen Beinbruch. Ich möchte für meine Ideen werben und Mehrheiten organisieren, aber wenn das am Ende nicht klappt, ist das kein Grund zurückzutreten. Dann ist das der souveräne Wille einer Partei, die sich Gedanken gemacht hat. Und wenn wir innerparteiliche Demokratie wirklich wollen, können wir am Ende nicht beleidigt reagieren, wenn die Mehrheit anders entscheidet. Das würde ja die Idee der ganzen Parteireform ad absurdum führen. Ich werde gewiss nicht zurücktreten, aber niemand soll unterschätzen, wie ernst es mir mit dieser Reform ist.

Frank-Walter Steinmeier, Peer Steinbrück und Sigmar Gabriel sind vor der Sommerpause erstmals gemeinsam aufgetreten. Wieso waren Sie nicht dabei?

Wieso sollte ich? Der Auftritt war genau richtig so: Der ehemalige Außenminister und jetzige Fraktionschef, der ehemalige Finanzminister und der Parteivorsitzende äußern sich gemeinsam zur Euro-Krise.

In Wahrheit ging es aber doch um die K-Frage?

Es ging um Europa, um dessen Zukunft wir uns vor dem Hintergrund des aktuellen Regierungshandelns von Frau Merkel große Sorgen machten. Es ging um ein Angebot an die Regierung, bei diesem existenziellen Thema zusammenzuarbeiten. Diese gemeinsame Geste war gut, und genau das war jetzt gefragt. Aber der geschlossene Auftritt hat natürlich auch einen Kommentar abgegeben, und dem Gerede über rivalisierende Kandidaten wurde Gemeinsamkeit entgegengesetzt.

Kurt Beck hat unterdessen Post von rheinland-pfälzischen Genossen erhalten, die ihn kritisieren. Ist er wirklich nicht ,nah bei de Leut‘?

Ich finde es völlig in Ordnung, einen Brief an Kurt Beck zu schreiben, aber muss man das öffentlich machen? Kurt Beck hat noch nie ein Gespräch verweigert. Diese Gelegenheit hätten sicher auch die Absender des Briefes direkt erhalten.

Rhein-Zeitung - 27.07.2011

 
 

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